Für eine patientenzentrierte und leitlinienkonforme Kompressionstherapie

„Aktuelle Aspekte der Kompressionsversorgung und ihre Auswirkungen auf die Versorgungsqualität“ standen im Fokus des gleichnamigen Informationsforums, das der Herstellerverband eurocom und die Deutsche Gesellschaft für Phlebologie (DGP) für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Krankenkassen durchführten. Die bereits vierte Kooperationsveranstaltung fand am 28. September 2018 im Rahmen der 60. Jahrestagung der DGP in Bielefeld statt. „Die Vorträge der Referenten“, so das Fazit von Oda Hagemeier, stellvertretende Geschäftsführerin eurocom, „zeigen die Bedeutung der Kompressionstherapie für ein breites Indikationsspektrum. Um die Behandlungsqualität der Patienten im interprofessionellen Dialog mit Ärzten, Leistungserbringern und Kostenträgern gemeinsam zu verbessern, ist es notwendig, Informationslücken zu schließen – auch mit Blick auf die aktuelle Fortschreibung des Hilfsmittelverzeichnisses.“

Entscheidend ist die Besserung der Symptome statt der Diagnose

Einen Überblick über das Versorgungsspektrum der Kompressionsklasse I  gab der Eröffnungsvortrag von Prof. Dr. Eberhard Rabe, Universitätsklinik Bonn. Der Phlebologe wies dabei auf die Diskrepanz von wissenschaftlicher Erkenntnis und praktischem Verordnungsverhalten hin. Dies ergab eine Befragung unter den Mitgliedern des Berufsverbands der Phlebologen. Demnach entfallen 93 Prozent der Verordnungen in den Bereich der Kompressionsklasse II und nur zu je drei Prozent in die Kompressionsklassen I und III. „Damit wird der Bedeutung der Kompressionsklasse I unter dem Aspekt neuerer wissenschaftlicher Erkenntnisse nicht ausreichend Rechnung getragen“, betont Rabe. Gerade beginnende Venenerkrankungen, wie die unkomplizierte Varikose oder das abendliche Stauungsödem, profitierten von einer Behandlung mit der niedrigsten Kompressionsklasse. Relevant sei außerdem die Compliance des Patienten –  seine persönlichen Möglichkeiten zum Umgang mit der Kompressionsversorgung –, vor allem bei Multimorbidität. Denn nicht jeder, der qua Indikation eine höherklassige Kompression benötigt, kann diese auch nutzen, etwa bei Bewegungseinschränkungen aufgrund von Arthritis, Rheuma oder Gicht. Diese Patienten profitierten  von einer Kompressionsbehandlung der Klasse I – nach dem Motto: Besser geringe als gar keine Kompression. „Vor diesem Hintergrund ist die Therapiefreiheit des Arztes von großer Bedeutung. Eine Zuordnung von Diagnosen zu Kompressionsklassen, wie sie die aktuelle Fortschreibung des Hilfsmittelverzeichnisses vornimmt, kann allenfalls beispielhaft gemeint sein“, so Rabe. Es sollte immer die niedrigste wirksame Kompressionsklasse verordnet werden. Bindend seien allein die aktuell gültigen Leitlinien der Fachgesellschaften. Darauf weise die Fortschreibung auch prinzipiell hin. Letztendlich entscheide der Arzt nach medizinischen Erfordernissen von Fall zu Fall. Insgesamt sei nach Einschätzung Rabes davon auszugehen, dass sich die Neufassung der Produktgruppe 17 „Hilfsmittel zur Kompressionstherapie“ nicht auf das Verordnungsverhalten des Arztes auswirken wird.

Vom Wert der Leitlinien: Behandlung mit IPK ist Stand der Wissenschaft

Das Voranschreiten wissenschaftlicher Erkenntnis und den bindenden Charakter medizinischer Leitlinien betonte auch DGP-Präsident Prof. Dr. Markus Stücker in seinen Ausführungen zum Indikationsspektrum der Kompressionstherapie. Beispielhaft stehe dafür der Paradigmenwechsel in der Therapie der peripheren arteriellen Verschlusskrankheit (pAVK) mittels Kompressionstherapie. Was früher undenkbar war, ist heute Stand der Wissenschaft und Therapieoption: die Behandlung der pAVK mit Hilfe der intermittierenden pneumatischen Kompression (IPK). Anders als früher behauptet, gilt heute: Kompressionstherapie durch eine IPK verbessert die Durchblutung beim Vorliegen einer pAVK statt sie zu behindern. Die IPK als Therapieansatz der pAVK bildet sich sowohl in der aktuellen IPK-Leitlinie als auch in den Behandlungsabläufen der niedergelassenen Ärzte ab. Rätselhaft sei daher, warum die pAVK wie auch der diabetische Fußdefekt als Indikationen der IPK nun aus dem Hilfsmittelverzeichnis verschwunden sind. Stücker dazu: „Die Nichtberücksichtigung der Intermittierenden pneumatischen Kompression in diesem Zusammenhang widerspricht der IPK-Leitlinie. Anders als vom GKV-Spitzenverband behauptet liegen Studien zur IPK vor. Die Fortschreibung des Hilfsmittelverzeichnisses ist an dieser Stelle fehlerhaft und es müsste geprüft werden, wie dies geschehen konnte.“

Der DGP-Präsident erläuterte außerdem die unterschiedliche Wirksamkeit von rund- und flachgestrickten Kompressionsstrümpfen. Wichtig sei in diesem Zusammenhang für den behandelnden Arzt das Wissen um Produkteigenschaften und Fertigungstechniken. Ob eine Flach- oder Rundstrickversorgung notwendig ist, stehe in direktem Kontext zur Diagnose und zu den individuellen Maßen des Patienten: Sehr starke Sprünge in den Maßen erforderten eine Flachstrickversorgung. Eine Rundstrickversorgung sei in diesem Fall technisch gar nicht möglich.

Nachholbedarf in der Pflege

Geringe Kenntnisse unter Krankenpflegekräften, medizinischen Fachangestellten und medizinischen Versorgern zur Bandagierung mit Kompressionsbinden und eine insgesamt zu geringe Einbindung von medizinischen Kompressionsstrümpfen in die Therapie prägen die Behandlungsschemata innerhalb der Wundversorgung. Nur unzureichend werden Ulkus-Strumpfsysteme und medizinische Kompressionsstrümpfe zur Weiterbehandlung von entstauten Beinen mit Ulcus cruris venosum sowie von abgeheilten Geschwüren eingesetzt. Zu dieser Bestandsaufnahme gelangt Kerstin Protz, Projektmanagerin Wundforschung am Uniklinikum Hamburg, in ihrem Beitrag zu aktuellen Aspekten der Kompressionsversorgung im ambulanten Bereich. „In der Pflege muss Kompressionstherapie sach- und fachgerecht umgesetzt und unter Einbeziehung des Patienten durch Edukation begleitet werden“, so ihr Appell. Ein erster Schritt in die richtige Richtung sei die Änderung der Häuslichen Krankenpflege-Richtlinie, die Patienten den Einstieg in die Kompressionstherapie erleichtert. Denn seit April 2018 ist das An- und Ausziehen von ärztlich verordneten medizinischen Kompressionsstrümpfen oder -strumpfhosen bereits ab Kompressionsklasse I eine verordnungsfähige Leistung der Behandlungspflege. Sie kann auch dann in Anspruch genommen werden, wenn darüber hinaus kein Bedarf an Grundpflege besteht.

Zum Hintergrund: Venen- und Lymphgefäßkrankheiten sind Volkskrankheiten

Rund 22 Millionen Menschen in Deutschland sind von Venenerkrankungen betroffen. Über 50 Prozent der Erwachsenen hat zumindest leichte Veränderungen am Venensystem, knapp ein Viertel leidet an einer Varikose mit und ohne Anzeichen einer chronisch venösen Insuffizienz (CVI) und immerhin noch knapp 15 Prozent haben Krampfadern. Die Beschwerden der Betroffenen beginnen unauffällig und werden oftmals nicht ausreihend erkannt. Es ist die Aufgabe des Arztes, insbesondere des Phlebologen, die ersten Anzeichen der Venenerkrankung zu diagnostizieren und die erforderlichen Schritte zu einer erfolgreichen Therapie einzuleiten. Im Mittelpunkt steht dabei die Kompressionstherapie. Schon mit Kompressionsversorgungen der Klasse I können erste Anzeichen einer CVI erfolgreich behandelt werden. Auch die die anderen Gesundheitsberufe sowie die Kostenträger und Leistungserbringer haben eine wichtige Rolle, wenn es um die beste Therapie für den Patienten geht.

Hier geht es zum Download der Pressemitteilung.

Die Präsentationen von Kerstin Protz, Professor Eberhard Rabe und Professor Markus Stücker stellen wir Ihnen auf Anfrage gern zur Verfügung.

 

eurocom

eurocom ist die Herstellervereinigung für Kompressionstherapie und orthopädische Hilfsmittel. Der Verband versteht sich als Gestalter und Dialogpartner auf dem Gesundheitsmarkt und setzt sich dafür ein, das Wissen um den medizinischen Nutzen, die Wirksamkeit und die Kosteneffizienz von Kompressionstherapie und orthopädischen Hilfsmitteln zu verbreiten. Zudem entwickelt eurocom Konzepte, wie sich die Hilfsmittelversorgung aktuell und in Zukunft sicherstellen lässt. Dem Verband gehören nahezu alle im deutschen Markt operierenden europäischen Unternehmen aus den Bereichen Kompressionstherapie und orthopädische Hilfsmittel an.

 

Pressekontakt

Antje Schneider, eurocom – european manufacturers federation for compression therapy and orthopaedic devices, Postfach 10 05 08, D – 52305 Düren, Fon: +49 (0) 24 21/95 26 52, Fax: +49 (0) 24 21/95 26 64, Mail: antje.schneider@eurocom-info.de, www.eurocom-info.de