Neue Studie zu Zukunftsperspektiven des österreichischen Sanitätsfachhandels

eurocom Österreich und die Bundesinnung für Gesundheitsberufe präsentierten Ergebnisse der jüngst vom Herstellerverband initiierten landesweiten Branchenbefragung zu den größten Herausforderungen und Entwicklungen. Fazit: Es herrscht ein Bewusstsein des Wandels vor. Welche Rolle dabei die Rahmenbedingungen des Sozialversicherungssystems und der Vormarsch der Digitalisierung spielen, stellte die bereits sechste Kooperationsveranstaltung am 11. Oktober 2017 in der Wirtschaftskammer Österreich zur Diskussion.

Ziel der im August 2017 von dem im Gesundheitssektor etablierten Marktforschungsinstitut medupha HealthcareResearch im Auftrag von eurocom Österreich durchgeführten Befragung war dabei, die Schlüsselfaktoren für das Wohl und Weh der Branche zu identifizieren. Ein repräsentativer Querschnitt der Geschäftsführerinnen und Geschäftsführer des österreichischen Sanitätsfachhandels nahm sich ausgiebig Zeit, um sich mit dem Zustand und der Zukunft der Branche auseinanderzusetzen.  „Für die hohe Beteiligung bedanke ich mich ausdrücklich“, so Winfried Rohm, Sprecher eurocom Österreich, in seiner Begrüßung. „Sie bestätigt die Notwenigkeit, über Veränderungen nachzudenken, und korrespondiert  mit den Befragungsergebnissen, die ein Grundrauschen der Verunsicherung sowie Handlungsbedarf signalisieren.“

Tarifpolitik der Sozialversicherung führt zu Versorgungsmangel

Die größte Herausforderung für den Sanitätsfachhandel liegt in den Kassentarifen. So äußern sich immerhin 73 Prozent der befragten Entscheidungsträger. Die Entwicklung der Rentabilität ist dabei besonders für kleinere Betriebe ein Thema. Die mit der Tarif- und Kostensituation einhergehenden Befürchtungen: die Streichung von Produkten und die Verringerung des Qualitätslevels – mithin ein grundsätzlicher Versorgungsmangel. Dass sich die Tarifpolitik der Sozialversicherung dabei im Widerspruch zu einer qualitativ überzeugenden Hilfsmittelversorgung befindet, zeigen diese Ergebnisse: Die Qualität europäischer Markenprodukte wird deutlich höher wahrgenommen als jene von Nachahmerprodukten, entsprechend wichtig wird deren Verfügbarkeit beurteilt. Die Mehrheit (70 Prozent) sieht daher eine hohe Notwendigkeit  für eine Aufzahlung, zu der die Österreicher überwiegend bereit wären, so die Auffassung von 75 Prozent der Befragten.

Mit der Diskrepanz von Qualitätsbewusstsein und Aufzahlungsbarrieren einhergehend rechnen Zweidrittel (67 Prozent) mit einem steigenden Umsatz aus Freiverkauf, denn die Bereitschaft der Patienten zum Kauf hochwertiger, nicht vergüteter Produkte wird von 52 Prozent als sehr hoch eigeschätzt.

Dass das Aufzahlungsmodell nicht landesweit greift – da von Gebietskrankenkasse zu Gebietskrankenkasse unterschiedlich gehandhabt – sei problematisch. Wäre das Prinzip durchgängig, würde es noch besser angenommen, so die Quintessenz der regen Publikumsdiskussion.

Auf die tragende Rolle der Sozialversicherungen zur Beseitigung von tarifpolitisch bedingten Unsicherheiten in der Versorgungslandschaft weist Heinz Illetschko, Präsident der österreichischen Bundesinnung der Gesundheitsberufe, Berufszweig Orthopädietechniker, hin: „Sozialversicherungen verwalten die Beiträge ihrer Versicherten und haben nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, Regeln zu erlassen, unter welchen Voraussetzungen Kosten übernommen werden, um einen sorgsamen Umgang mit den Beiträgen zu garantieren. Grundbedingung für eine effektive Zusammenarbeit zwischen Verordnern, OT-Betrieben, Patienten und der Sozialversicherung ist die Veröffentlichung dieser Regeln.“ Solange die Kriterien und Bedingungen für die Genehmigung einer Versorgung nicht transparent und von Kasse zu Kasse unterschiedlich seien, herrsche ein Klima der Verunsicherung vor. Paradigmatisch sei dafür die prothetische Versorgung, so Illetschko: „ Die Bewilligung einer Prothese gleicht einem Spießroutenlauf – noch dazu verbunden mit einem enormen Verwaltungsaufwand für die Betriebe, Tendenz steigend.“

Digitalisierung bietet Chance für den Sanitätsfachhandel

Die Automatisierung des Bewilligungsverfahrens auf der Basis einheitlicher Kriterien könnte den Verwaltungsaufwand  der versorgenden Betriebe drastisch senken. Hier könnte die Digitalisierung einen wertvollen Beitrag leisten. Schon jetzt liefert sie Lösungsansätze für die Praxis. Integraler Bestandteil zur Unterstützung von Verwaltung und Kommunikation, ist die Übertragung digitaler Technologien auf die Produktion aber teils noch Zukunftsmusik. Im Einlagenbereich, nach Auffassung von Podium und Publikum geradezu prädestiniert für den Drei-D-Druck, sei dessen Anwendung zurzeit zwar für die Entwicklung von Prototypen geeignet, für die Massenproduktion jedoch noch nicht wirtschaftlich.

Dass zum Wandel der Branche eben auch die Bereitschaft gehört, ihr Geschäftsmodell digital auszurichten, zeigen die Zukunftspläne der befragten Betriebe: Bereits ein Viertel betreibt bereits Handel über das Internet, ein weiteres Viertel plant, in den nächsten Jahren das Bestellwesen digital umzustellen und einen Online-Shop einzurichten. Ob dies im Sanitätsfachhandel eine grundlegende digitale Transformation nach sich zieht, bleibt abzuwarten und ist eine Abwägungsfrage von Vor- und Nachteilen. Dr. Michael Böheim vom Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO) dazu: „Geschäftsmodelle zu digitalisieren bedeutet, sie auf eine komplett neue Basis zu stellen, sowohl auf Kundenseite als auch im operativen Bereich. Berufe und ihre Arbeitsinhalte werden sich verändern und damit die Voraussetzungen für Ausbildung und Qualifikation.“ Es gilt also, Technologie für den Wettbewerb intelligent zu nutzen und gegebenenfalls den digitalen Entwicklungsstand anzuheben. Hier schneide Österreich laut Böheim im internationalen Vergleich mit Platz 13 von 29 Ländern nur mittelprächtig ab. Die digitale Chance für die Branche sieht der Chefredakteur der WIFO-Monatsberichte vor allem im Potenzial für einen Imagewandel: „Produkte, die früher als altbacken wahrgenommen worden sind, erhalten durch neue Technologien ihrer Materialien, Produktion, Distribution und Kommunikation einen grundlegend modernen Charakter. Integrationsdruck entsteht dabei durch den Kunden, dessen längst schon ausgeprägten digitalen Gewohnheiten und Qualitätsansprüchen sich die Branche anpassen muss.“ Dies setzt eine entsprechende Infrastruktur und die Bereitschaft zur Investition in deren Fixkosten voraus. „Und diese sind hoch“, so Böheim, „auch wenn neue Informations- und Kommunikationstechnologien durch rasch sinkende Kosten und steigende Leistung gekennzeichnet sind. Bezogen auf den mittelständisch geprägten Sanitätsfachhandel heißt das: Vernetzung ist allein schon aus Kostengründen notwendig.“

Nicht von ungefähr herrscht das Bewusstsein vor, dass etwas geändert werden muss, um geschäftsfähig zu bleiben. Die Hälfte der befragten Betriebe plant eine Erweiterung durch Expansion und eben auch strategische Partnerschaften. „Die Dinge sind im Umbruch“, schließt eurocom-Sprecher Rohm die Veranstaltung mit einem Appell an Podium und Publikum: „Worauf es ankommt ist, Chancen zu nutzen, mit Qualität zu punkten. Die Optionen sind da durch Patienten, die Leistung wertschätzen.“

Die vollständigen Ergebnisse der Befragung „Sanitätsfachhandel: Quo vadis? Zukunftsperspektiven für die Branche“ steht hier kostenlos zum Download zur Verfügung.